SFH-141390  Wie ein Nein aus China das Geschäft mit dem Müll verändert hat, Die Presse  von Julia Raabe 04.02.2019 um 14:36

Lange Jahre war China die Müllkippe der Welt, dann wollte Peking den Abfall der Industriestaaten nicht mehr. Seitdem sind große Mengen Müll nach Malaysia, Thailand und in andere Staaten Südostasiens verschifft worden. Die stoßen längst an ihre Grenzen. Und die Welt steht erst am Anfang eines gewaltigen Müllproblems.

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Siem Reap, Kambodscha: Die 11-jährige Soburn durchsucht Müll nach Dingen, die ihre Familie noch gebrauchen kann.
Siem Reap, Kambodscha: Die 11-jährige Soburn durchsucht Müll nach Dingen, die ihre Familie noch gebrauchen kann. – REUTERS

In Laem Chabang herrscht Hochbetrieb. Riesige Kräne hieven Container von Frachtschiffen an den Anlegestellen. Hafenarbeiter brüllen Anweisungen, dirigieren Lastwagen, fertigen Ware ab. Rund um die Uhr werden hier Handelsschiffe gelöscht und beladen. Am Horizont zeichnen sich die Konturen von den nächsten Frachtern ab, die Thailands größten und wichtigsten Hafen aus aller Welt ansteuern. „Laem Chabang Port. World Class Port" prangt auf einer Mauer am Eingang des Areals. Weltklasse-Hafen – es ist eine Ansage.

„Glück, Wachstum und Wohlstand" hat Thailands Militärjunta der Bevölkerung versprochen. Die Generäle wollen das Touristenparadies zu einem Investitions- und Exportzentrum Asiens machen. Und der Hafen von Laem Chabang am Golf von Thailand, 120 Kilometer südlich der Hauptstadt Bangkok, soll dabei einewichtige Rolle spielen. Wenn alles nach Plan läuft, wird er ab Mai weiter ausgebaut. Aber der Wirtschaftskurs hat auch seine schmutzigen Seiten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Frachter bringen auch den Abfall der Industriestaaten, Reste der westlichen Wegwerfkultur. Und so viel wie nie zuvor.

Die Importe von Müll sind in Thailand im vergangenen Jahr in die Höhe geschossen. Vor allem Plastikmüll und Elektroschrott sei in großen Mengen ins Land gebracht worden, sagte Penchom Saetang von der NGO Ecological Alert and Recovery Thailand (Earth) der „Presse", aber auch chemische Abfälle und Asche von Müllverbrennungsanlagen. Eine Datenanalyse der „Financial Times" ergab in der ersten Jahreshälfte 2018 allein beim Plastikmüll ein Importplus von 1370 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Anderen Ländern Südostasiens erging es ähnlich. In Vietnam verdoppelten sich die Plastikmülleinfuhren, Indonesien meldete ein Plus von 56 Prozent. Der Grund: China, das mehr als zwei Jahrzehnte lang massenweise Kunstoffreste, Altpapier, Textilabfälle und Elektroschrott aus aller Welt importiert hatte, wollte den Müll nicht mehr. Zur Begründung verwies die Regierung in Peking auf die Umweltverschmutzung und die Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung. Und jene Staaten, die ihren Müll bequem in China abgeladen hatten, blieben auf Abfallbergen sitzen. Allein die USA hatten zuvor 70 Prozent ihres Plastikmülls nach China und Hongkong verschifft, Großbritannien zwei Drittel, Deutschland immerhin ein Zehntel. Sie mussten nach Alternativen suchen – und fanden sie in Südostasien.

Lang war der Export nach China ein gutes Geschäft gewesen – für beide Seiten: Der Westen war seinen Müll los, und die Asiaten zahlten dafür auch noch mehr als etwa die heimische Recyclingbranche. China fischte sich dank billiger Arbeitskräfte die verwertbaren Materialien aus dem Abfall, mit denen sich Profite machen ließen, der Rest wurde verbrannt oder deponiert. Noch 2016 führte China 7,3 Millionen Tonnen Plastikmüll im Wert von 3,7 Milliarden US-Dollar ein – 56 Prozent der weltweiten Importe. 70 Prozent des weltweit exportierten Elektroschrotts landete 2016 ebenfalls in China.

Vermüllte Insel

Die südostasiatischen Ausweichstaaten, die nach Chinas Importstopp bereitwillig einsprangen, sind nun aber längst an ihre Grenzen gestoßen. Den Recyclingfabriken in Thailand, schildert Penchom Saetang, mangele es oft an den Kapazitäten oder der Technologie, um den Müll zu verarbeiten. Auch sei entgegen der Bestimmungen verschmutzter Abfall importiert worden, der sich nicht zur Wiederverwertung eigne. Teile des Mülls landeten irgendwo auf wilden Deponien oder wurden verbrannt.

Mit dieser Erfahrung ist Thailand nicht allein. Eine Autostunde von der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur entfernt türmen sich am Straßenrand die Müllberge: Starbucks-Becher aus den USA neben leeren Palmolive-Flaschen aus Norwegen oder Ariel-Behältern aus der Schweiz. In der Luft liegt der stechende Geruch verbrannten Plastiks. Pulua Indah, was so viel wie „wunderschöne Insel" heißt, ist einer jener Orte Malaysias, in denen illegale Recyclingfabriken aus dem Boden geschossen sind. Ein Investigativ-Team von Greenpeace hat die Müllberge im Oktober dokumentiert. Die meisten der Abfälle stammten aus Nordamerika und Europa. Das Fazit der Umweltschützer: Importierter Plastikmüll werde oft nicht korrekt verwertet, sondern unreguliert irgendwo abgeladen oder verbrannt – mit dramatischen Folgen für die Umwelt und die Gesundheit der lokalen Bevölkerung.
 

Die Plastikkrise

Vor allem Plastikmüll ist zum Problem geworden. 242 Millionen Tonnen davon wurden 2016 produziert – Tendenz steigend. Das sind zwar nur zwölf Prozent des gesamten Abfalls, der jährlich anfällt. Doch kein anderer Stoff trägt so zur Verschmutzung der Umwelt bei. 90 Prozent des Mülls in den Ozeanen besteht aus Plastik. Teile davon sammeln sich in riesigen Müllstrudeln. Das meiste gelangt über die asiatischen Staaten ins Meer, vor allem über China, Indonesien, die Philippinen, Thailand und Vietnam.

Malaysias neue Regierung steckt, wie die anderen südostasiatischen Staaten, in einem Dilemma. Zwar klagte Umweltministerin Yeo Bee Yin, das Land dürfe nicht zur „Müllkippe" der entwickelten Welt werden. Gleichzeitig will sich die Regierung nicht ein potenziell milliardenschweres Geschäft entgehen lassen. Allein die Plastikrecycling-Industrie habe Malaysia laut Regierungsvertretern 2018 wohl mehr als 735 Millionen Euro eingebracht.

Trotzdem haben mehrere südostasiatische Staaten angekündigt, die Einfuhren künftig einzuschränken. Thailand hat sich eine Frist bis 2021 gegeben. Das sei viel zu lang, meint Umweltschützerin Penchom Saetang. Doch die Regierung wolle Müllentsorgung und Recycling als Industriezweig etablieren und den Unternehmen Zeit geben, sich auf die Situation einzustellen. „Wir befürchten, dass das Geschäft bis 2021 noch stärker boomen wird."

Dabei steht die Welt erst am Anfang eines gewaltigen Müllproblems, wenn die Prognosen stimmen. Bis 2050, schätzte die Weltbank in einem Bericht vor wenigen Monaten, werde die globale Müllmenge um 70 Prozent anwachsen. Getrieben wird die Entwicklung vor allem von zwei Faktoren: dem Bevölkerungswachstum und der zunehmenden Urbanisierung. Und sie vollzieht sich überwiegend in zwei Weltregionen. „Bis 2050 wird in Südostasien doppelt so viel Abfall anfallen wie heute, in Subsahara-Afrika drei Mal so viel", erklärten die Autoren.

An den Rändern der schnell wachsenden Großstädte kann man die Auswüchse längst beobachten. Außerhalb von Metropolen wie Mumbai, Jakarta oder Lagos türmt sich der Abfall unter freiem Himmel. 2017 starben außerhalb der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba mehr als 110 Menschen, als ein Berg Abfall ins Rutschen geriet und Dutzende Häuser verschüttete. Vergangenes Jahr kollabierte eine Mülldeponie in Maputo, Mosambik. Für die Ärmsten der Armen ist der Abfall oft die Existenzgrundlage: Weltweit verdienen mehr als 15 Millionen Menschen ihren Lebensunterhalt als Müllsammler, schätzt die Weltbank.

Schätze aus Gold

Im Stadtteil Agbogbloshie in Ghanas Hauptstadt Accra türmen sich keine Plastikabfälle, sondern ausrangierte Handys, Computerteile und andere Elektrogeräte. Rund 6000 Menschen leben davon, daraus Rohstoffe wie Gold, Cobalt und Kupfer zu gewinnen. Wenn sie die Geräte dafür verbrennen, setzt das Giftstoffe frei, die Luft und Boden verseuchen. „Sodom" nennen sie den Ort, an dem jährlich 250.000 Tonnen Elektroschrott illegal aus den Industriestaaten abgeladen werden. Er kommt auch aus Europa, obwohl der Export verboten ist.

Keine Abfallsorte wächst schneller als Elektroschrott. In den vergangenen neun Jahren hat sich die Menge weltweit verdoppelt. Bis 2021, so die Schätzungen, wird die Welt 57 Millionen Tonnen davon pro Jahr produzieren. Nur 20 Prozent werden derzeit gesammelt und fachgerecht wiederverwertet, trotz der wertvollen Materialien. Wissenschaftler der United Nations University in Tokio kamen zu dem Schluss, dass sich der Wert der in Elektroschrott enthaltenen Rohstoffe 2016 auf rund 61 Milliarden US-Dollar belief. Aber die Wiederverwertung gilt als zu aufwendig und kostspielig. Die Europäische Union stellt mit einer Recyclingrate von rund 35 Prozent eine Ausnahme dar.

EU-Ziele

Um der Müllflut Herr zu werden, will die EU eine Vorreiterrolle einnehmen. Vizekommissionschef Frans Timmermans hat diese Woche im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie das Ziel ausgegeben, bis 2030 in Europa das Ende der Wegwerfgesellschaft zu erreichen. Angesichts der Verschmutzung der Meere hat die Union ein Verbot von Einwegplastik beschlossen, ab 2025 muss mehr als die Hälfte des Plastikmülls recycelt werden. Davon allerdings ist Europa noch weit entfernt.

Offiziell werden in der Europäischen Union 42 Prozent des Abfalls wiederverwertet, in Österreich ist es ein Drittel. Umweltschützer argumentieren allerdings, die Zahlen seien viel zu hoch angesetzt, weil auch die Exporte und nicht-recycelbare Materialien aus den Sortieranlagen eingerechnet würden.

Hinzu kommt: Viele Verpackungen können gar nicht recycelt werden, weil sie aus vermischten Kunststoffen bestehen oder mit anderen Stoffen verklebt wurden. Sie müssen verbrannt werden. Und nicht jedes Land hat, wie Österreich, Überkapazitäten an Müllverbrennungsanlagen. Deshalb wird auch innerhalb Europas Müll hin- und hergefahren. Italien exportierte 2017 ein Drittel seiner Abfälle nach Österreich. Vor allem in Osteuropa landet zudem immer noch viel Müll auf Deponien.

Letztlich, meinen Experten, gehe an einem Umdenken mit dem Ziel, Müll zu vermeiden, kein Weg vorbei. Lisa Kernegger von Global 2000 kann der chinesischen Entscheidung deshalb Positives abgewinnen – „weil wir angefangen haben, uns auf politischer Ebene damit zu beschäftigen".

Zahlen

2,01 Milliarden Tonnen sogenannter Siedlungsabfälle (Hausmüll, Altpapier, Glas, Sperrmüll etc.) werden auf der Welt jedes Jahr produziert. Die Weltbank schätzt, dass die globale Müllmenge bis 2050 noch um 70 Prozent zunehmen wird: auf 3,4 Milliarden Tonnen Müll pro Jahr.

Die Bevölkerung in Ländern mit hohem Einkommen macht 16 Prozent der Weltbevölkerung aus. Sie allein generiert 34 Prozent des weltweiten Abfalls, also mehr als ein Drittel.

In der EU produzieren die Dänen mit 781 Kilo pro Kopf im Jahr den meisten Hausmüll, gefolgt von Zypern (637 kg) und Deutschland (633 kg). Österreich liegt mit 570 Kilo auf Platz sechs. Schlusslicht: Rumänien mit 272 Kilogramm.

Fakten

Die Produktion von Plastik hat sich seit den 1960er-Jahren verzwanzigfacht und wird sich, so die Schätzungen, in den nächsten 20 Jahren noch einmal verdoppeln. Bis 2017 sind insgesamt rund 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoffe hergestellt worden.

Nur neun Prozent des Plastikmülls werden weltweit recycelt. Der Großteil des Plastiks (80 Prozent) landet auf Mülldeponien oder im Meer. Vor allem Einwegverpackungen verschmutzen die Ozeane, weshalb die EU bestimmte Sorten von Einwegplastik ab 2021 verbieten will. Innerhalb der EU wurden 2016 offiziell gut 42 Prozent des Plastikmülls rezykliert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2019)

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Posting Dr. Lederbauer vom 4.2.2019

"... Dabei steht die Welt erst am Anfang eines gewaltigen Müllproblems, wenn die Prognosen stimmen. Bis 2050, schätzte die Weltbank in einem Bericht vor wenigen Monaten, werde die globale Müllmenge um 70 Prozent anwachsen...Nur neun Prozent des Plastikmülls werden weltweit recycelt. Der Großteil des Plastiks (80 Prozent) landet auf Mülldeponien oder im Meer.... "

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