Wien/Graz – Dynamik prägt den Ort. Ständig passieren Schiffe die gut
14 Kilometer breite Straße von Gibraltar. Auch unter der
Wasseroberfläche herrscht immer wieder reger Betrieb. Anfang Mai zum
Beispiel sind die ersten Tunfischschwärme auf ihrer alljährlichen
Laichwanderung vom Atlantik ins Mittelmeer eingetroffen. Fischer und
sogar Schwertwale stellen ihnen nach. Zudem schieben sich täglich
gewaltige Wassermassen durch die Meeresenge. Der Einstrom spült
atlantisches Wasser in das mediterrane Becken. In der Tiefe jedoch
findet ein Ausgleich statt. Warmes, durch seinen erhöhten Salzgehalt
schwerer gewordenes Mittelmeerwasser fließt beständig gen Westen in den
Ozean – wie angetrieben von einer gigantischen Pumpe.
Eine Vermischung bleibt zunächst aus. Stattdessen wälzen sich die
mediterranen Fluten hunderte Meter unter der Meeresoberfläche als
eigenständiger Strom fort. "Das meiste Wasser, das aus dem Mittelmeer
kommt, fließt an der Iberischen Halbinsel vorbei nördlich bis nach
Irland", sagt der Paläoozeanograf Patrick Grunert von der Universität
Graz. Erst dort steigt die mediterrane Strömung auf und verbindet sich
anscheinend mit einem Zweig des ebenfalls warmen Golfstroms.
Modellrechnungen zufolge wäre das Oberflächenwasser des Nordatlantiks
westlich der Britischen Inseln ohne Mittelmeereinfluss um circa ein
Grad Celsius kälter, sagt Grunert. Das beeinflusst natürlich auch das
europäische Klima.
Vor mehr als sechs Millionen Jahren sah die Lage etwas anders aus.
Die Straße von Gibraltar existierte noch nicht, das Mittelmeer stand
über zwei andere Passagen mit dem Atlantik in Verbindung. Tektonische
Prozesse ließen diese Meereskorridore nach und nach trocken fallen, an
ihrer Stelle erhoben sich die südspanischen Cordilleras Béticas und das
marokkanische Rif-Gebirge. Das mediterrane Becken war nun vom Ozean
getrennt und begann auszutrocknen, so wie heute das Tote Meer. Auf dem
Boden entstanden mächtige Ablagerungen aus Mineralsalzen. Fachleute
bezeichnen diese Periode als die Messinische Salinitätskrise. Eine
urzeitliche Umweltkatastrophe.
Bohrproben aus der Tiefe
Die Erdkruste bewegte sich
jedoch weiter. Eine neue Senke tat sich auf, und dort konnte der
Atlantik vor rund 5,33 Millionen wieder eindringen – die Geburt der
Straße von Gibraltar. Bald brach eine gewaltige Flut durch. Vermutlich
dauerte es weniger als zwei Jahre, bis das Mittelmeer wieder befüllt war
(vgl.: "Nature", Bd. 462, S. 778). Doch wie entwickelten sich danach
die Strömungsverhältnisse? Gab es den mediterranen Ausstrom und seine
weitreichende Wirkung schon damals, zu Beginn des Pliozän-Zeitalters?
Um dem Phänomen buchstäblich auf den Grund zu gehen, nahm eine
Schiffsexpedition des International Ocean Drilling Programme (IODP) im
Winter 2011/2012 mehrere Bohrproben aus dem Meeresboden im Golf von
Cádiz, westlich von Gibraltar. Das in den Kernen enthaltene
Sedimentmaterial soll Einblick in das lokale Strömungsgeschehen der
vergangenen Jahrmillionen ermöglichen. Untersuchung und Auswertung
werden von einem internationalen Expertenteam durchgeführt. Genug Arbeit
für viele Jahre.
Auch Patrick Grunert von der Uni Graz ist beteiligt. Sein
Spezialgebiet sind Foraminiferen, schalenbildene Einzeller. Ihre
winzigen Gehäuse lagern sich oft massenhaft im Meeresboden ab und
liefern dem Wissenschafter eine Fülle an Informationen. Grunert wird am
kommenden Montag, 30. Mai, während des Geowissenschaften-Symposiums der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, ausführlich über
seine Arbeit berichten.
Foraminiferen sind artenreich. Manche Spezies leben auf dem Boden,
andere schwebend im Mikroplankton. Es gibt Flachwasser- und
Tiefseearten, und auch evolutionsgeschichtlich lassen sich viele
verschiedene Formen unterscheiden. Abgesehen davon enthalten die
Kalkschalen der Minigeschöpfe unter anderem die Elemente Kohlenstoff und
Sauerstoff.
In welchen Mengenverhältnissen deren unterschiedliche Atomtypen,
Isotopen genannt, auftreten, wird von Umweltfaktoren wie der
Wassertemperatur und dem Gasaustausch zwischen Ozean und Atmosphäre
bestimmt. Die Foraminiferen-Fossilien sind somit eine Art biologische
Datenbank. Patrick Grunert und seinen Kollegen dienen die
Einzellergehäuse vor allem zur Datierung der diversen
Bohrkern-Schichten. Von bestimmten Arten ist genau bekannt, wann sie
lebten. Der Gehalt des Sauerstoff-18-Isotops in den Schalen bietet
außerdem Hinweise auf zyklische Veränderungen des globalen Klimas.
Die Ergebnisse dieser Analysen werden mit Daten aus anderen Verfahren
kombiniert. Die Forscher untersuchen zum Beispiel auch die
dreidimensionale Ausrichtung von eisenhaltigen Mineralien in den
Sedimenten. Unterschiede in der Orientierung der Kristalle weisen auf
bereits datierte Verschiebungen im Erdmagnetfeld hin.
Unterwasserdünen
Die bisherigen Studienergebnisse
lassen darauf schließen, dass der mediterrane Ausstrom bereits kurz nach
der Wiederauffüllung des Mittelmeers in Gang kam. Die Wassermassen
haben am Kontinentalhang im Golf von Cádiz bis zu 700 Meter dicke
Sandablagerungen gebildet, die sich wie riesige Unterwasserdünen auf dem
Meeresboden türmen. Deren unterste Schichten dürften den Datierungen
nach bis zu 4,5 Millionen Jahre alt sein. In älteren Sedimenten aus
derselben Region finden sich zudem Hinweise auf strömungsberuhigte
Verhältnisse – eine Folge des blockierten Wasseraustausches mit dem
Mittelmeer während der Messinischen Salinitätskrise.
Die Welt war am Anfang des Pliozäns stark im Wandel. "Nach Öffnung
der Straße von Gibraltar kam es zunächst zu einer Klimaerwärmung",
berichtet Grunert. Der Forscher und seine Kollegen möchten nun
herausfinden, wie sich der Mittelmeer-Ausstrom unter diesen Bedingungen
verhielt und welchen Einfluss er hatte. Das dürfte auch mit Blick auf
den heutigen Klimawandel von größtem Interesse sein. (Kurt de Swaaf,
28.5.2016)
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