SFH-142911 Gigantische Pumpe: Mediterrane Fernwärme aus Gibraltar, Der Standard   Kurt de Swaaf  28. Mai 2016, 19:26

Der Mittelmeer-Ausstrom bewirkt in weit entfernten Teilen des Nordatlantiks eine Erhöhung der Wassertemperatur. Ein Forscherteam ist dem Phänomen auf der Spur

https://www.derstandard.at/story/2000037576936/mediterrane-fernwaerme-aus-gibraltar



Wien/Graz – Dynamik prägt den Ort. Ständig passieren Schiffe die gut 14 Kilometer breite Straße von Gibraltar. Auch unter der Wasseroberfläche herrscht immer wieder reger Betrieb. Anfang Mai zum Beispiel sind die ersten Tunfischschwärme auf ihrer alljährlichen Laichwanderung vom Atlantik ins Mittelmeer eingetroffen. Fischer und sogar Schwertwale stellen ihnen nach. Zudem schieben sich täglich gewaltige Wassermassen durch die Meeresenge. Der Einstrom spült atlantisches Wasser in das mediterrane Becken. In der Tiefe jedoch findet ein Ausgleich statt. Warmes, durch seinen erhöhten Salzgehalt schwerer gewordenes Mittelmeerwasser fließt beständig gen Westen in den Ozean – wie angetrieben von einer gigantischen Pumpe.

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Eine Vermischung bleibt zunächst aus. Stattdessen wälzen sich die mediterranen Fluten hunderte Meter unter der Meeresoberfläche als eigenständiger Strom fort. "Das meiste Wasser, das aus dem Mittelmeer kommt, fließt an der Iberischen Halbinsel vorbei nördlich bis nach Irland", sagt der Paläoozeanograf Patrick Grunert von der Universität Graz. Erst dort steigt die mediterrane Strömung auf und verbindet sich anscheinend mit einem Zweig des ebenfalls warmen Golfstroms.

Modellrechnungen zufolge wäre das Oberflächenwasser des Nordatlantiks westlich der Britischen Inseln ohne Mittelmeereinfluss um circa ein Grad Celsius kälter, sagt Grunert. Das beeinflusst natürlich auch das europäische Klima.

Vor mehr als sechs Millionen Jahren sah die Lage etwas anders aus. Die Straße von Gibraltar existierte noch nicht, das Mittelmeer stand über zwei andere Passagen mit dem Atlantik in Verbindung. Tektonische Prozesse ließen diese Meereskorridore nach und nach trocken fallen, an ihrer Stelle erhoben sich die südspanischen Cordilleras Béticas und das marokkanische Rif-Gebirge. Das mediterrane Becken war nun vom Ozean getrennt und begann auszutrocknen, so wie heute das Tote Meer. Auf dem Boden entstanden mächtige Ablagerungen aus Mineralsalzen. Fachleute bezeichnen diese Periode als die Messinische Salinitätskrise. Eine urzeitliche Umweltkatastrophe.

Bohrproben aus der Tiefe

Die Erdkruste bewegte sich jedoch weiter. Eine neue Senke tat sich auf, und dort konnte der Atlantik vor rund 5,33 Millionen wieder eindringen – die Geburt der Straße von Gibraltar. Bald brach eine gewaltige Flut durch. Vermutlich dauerte es weniger als zwei Jahre, bis das Mittelmeer wieder befüllt war (vgl.: "Nature", Bd. 462, S. 778). Doch wie entwickelten sich danach die Strömungsverhältnisse? Gab es den mediterranen Ausstrom und seine weitreichende Wirkung schon damals, zu Beginn des Pliozän-Zeitalters?


Um dem Phänomen buchstäblich auf den Grund zu gehen, nahm eine Schiffsexpedition des International Ocean Drilling Programme (IODP) im Winter 2011/2012 mehrere Bohrproben aus dem Meeresboden im Golf von Cádiz, westlich von Gibraltar. Das in den Kernen enthaltene Sedimentmaterial soll Einblick in das lokale Strömungsgeschehen der vergangenen Jahrmillionen ermöglichen. Untersuchung und Auswertung werden von einem internationalen Expertenteam durchgeführt. Genug Arbeit für viele Jahre.

Auch Patrick Grunert von der Uni Graz ist beteiligt. Sein Spezialgebiet sind Foraminiferen, schalenbildene Einzeller. Ihre winzigen Gehäuse lagern sich oft massenhaft im Meeresboden ab und liefern dem Wissenschafter eine Fülle an Informationen. Grunert wird am kommenden Montag, 30. Mai, während des Geowissenschaften-Symposiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, ausführlich über seine Arbeit berichten.

Foraminiferen sind artenreich. Manche Spezies leben auf dem Boden, andere schwebend im Mikroplankton. Es gibt Flachwasser- und Tiefseearten, und auch evolutionsgeschichtlich lassen sich viele verschiedene Formen unterscheiden. Abgesehen davon enthalten die Kalkschalen der Minigeschöpfe unter anderem die Elemente Kohlenstoff und Sauerstoff.

In welchen Mengenverhältnissen deren unterschiedliche Atomtypen, Isotopen genannt, auftreten, wird von Umweltfaktoren wie der Wassertemperatur und dem Gasaustausch zwischen Ozean und Atmosphäre bestimmt. Die Foraminiferen-Fossilien sind somit eine Art biologische Datenbank. Patrick Grunert und seinen Kollegen dienen die Einzellergehäuse vor allem zur Datierung der diversen Bohrkern-Schichten. Von bestimmten Arten ist genau bekannt, wann sie lebten. Der Gehalt des Sauerstoff-18-Isotops in den Schalen bietet außerdem Hinweise auf zyklische Veränderungen des globalen Klimas.

Die Ergebnisse dieser Analysen werden mit Daten aus anderen Verfahren kombiniert. Die Forscher untersuchen zum Beispiel auch die dreidimensionale Ausrichtung von eisenhaltigen Mineralien in den Sedimenten. Unterschiede in der Orientierung der Kristalle weisen auf bereits datierte Verschiebungen im Erdmagnetfeld hin.

Unterwasserdünen

Die bisherigen Studienergebnisse lassen darauf schließen, dass der mediterrane Ausstrom bereits kurz nach der Wiederauffüllung des Mittelmeers in Gang kam. Die Wassermassen haben am Kontinentalhang im Golf von Cádiz bis zu 700 Meter dicke Sandablagerungen gebildet, die sich wie riesige Unterwasserdünen auf dem Meeresboden türmen. Deren unterste Schichten dürften den Datierungen nach bis zu 4,5 Millionen Jahre alt sein. In älteren Sedimenten aus derselben Region finden sich zudem Hinweise auf strömungsberuhigte Verhältnisse – eine Folge des blockierten Wasseraustausches mit dem Mittelmeer während der Messinischen Salinitätskrise.

Die Welt war am Anfang des Pliozäns stark im Wandel. "Nach Öffnung der Straße von Gibraltar kam es zunächst zu einer Klimaerwärmung", berichtet Grunert. Der Forscher und seine Kollegen möchten nun herausfinden, wie sich der Mittelmeer-Ausstrom unter diesen Bedingungen verhielt und welchen Einfluss er hatte. Das dürfte auch mit Blick auf den heutigen Klimawandel von größtem Interesse sein. (Kurt de Swaaf, 28.5.2016)

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