SFH-0068 / OIM - Menschenrechtsbeschwerde Perterer gegen Österreich
enschenrechtsbeschwerde Dr. Perterer gg. Österreich - eine Kurzfassung der Entscheidung des UN-Menschenrechtsausschusses vom 20.07.2004 durch das Österreichische Institut für Menschenrechte in Salzburg
UN-Menschenrechtsausschuss Beschwerde Nr. 1015/2001 Dr. Paul PERTERER gegen Österreich Sachentscheidung vom 20. Juli 2004 Entlassung eines Gemeindebeamten durch die Disziplinarkommission 1) Art. 14 (1) UN-Menschenrechtspakt II Art. 5 (2) (a) Fakultativprotokoll Art. 3 Fakultativprotokoll § 124 (3) Beamten-Dienstrechtsgesetz (BDG 1979) Sachverhalt: Am 31.1.1996 brachte der Bürgermeister von Saalfelden gegen den Bf., der als Gemeindebeamter angestellt war, eine Disziplinarbeschwerde ein. Er warf ihm unter anderem vor, Büromaterial für private Zwecke verwendet zu haben und des Öfteren während der Dienstzeit nicht am Arbeitsplatz gewesen zu sein. Am 29.2.1996 leitete die Disziplinarkommission ein Verfahren gegen den Bf. ein, das zu seiner Suspendierung führte. Dieses Verfahren wurde unter dem Vorsitz von Dr. Guntram Maier, der vorher vom Bf. gemäß § 124 (3) BDG 1979 abgelehnt worden war, durchgeführt. Schließlich wurde der Bf. am 4.7.1996 durch Entscheidung der Disziplinarkommission entlassen. Nachdem er dagegen eine Beschwerde eingelegt hatte, verwies die Disziplinaroberkommission für Gemeindebedienstete am 25.9.1996 die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung an die Behörde erster Instanz mit der Begründung zurück, auch der Senatsvorsitzende könne gemäß § 124 (3) BDG 1979 ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden. Am 26.3.1997 führte die Disziplinarkommission unter dem Vorsitz von Dr. Michael Cecon ein zweites Disziplinarverfahren durch. Der Bf. lehnte daraufhin im April 1997 die Zusammensetzung dieser Kommission mit der Begründung ab, die zwei von der Gemeinde Saalfelden nominierten Mitglieder seien weder unabhängig noch unparteiisch, da sie ja selbst bei der Gemeinde Saalfelden angestellt seien. Die Kommission wies die Vorwürfe zurück und entließ den Bf. am 1.8.1997 abermals vom Dienst. Auch die Disziplinaroberkommission hielt diese Entscheidung aufrecht, weshalb der Bf. am 7.1.1998 eine Beschwerde beim VfGH wegen Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens einbrachte. Dieser verwies die Beschwerde allerdings an den Verwaltungsgerichtshof, der am 10.2.1999 die Entscheidung der Disziplinaroberkommission wegen Gesetzwidrigkeit aufhob. Am 13.7.1999 startete die Disziplinarkommission das dritte Verfahren, in dessen Folge der Bf. wiederum vom Dienst suspendiert wurde. Gleich im Anschluss an diese Entscheidung lehnte der Bf. sowohl den Vorsitzenden – Dr. Cecon – als auch die beiden von der Gemeinde Saalfelden nominierten Mitglieder der Disziplinarkommission wegen Parteilichkeit ab. Dr. Cecon wurde daraufhin durch Dr. Maier ersetzt, der aber schon früher den Vorsitz der Disziplinarkommission geführt hatte und vom Bf. schon einmal wegen Parteilichkeit abgelehnt worden war. Nachdem der Bf. Dr. Maier wiederum abgelehnt hatte, übernahm am 16.8.1999 Dr. Cecon ein zweites Mal den Vorsitz. Am 23.09.1999 wurde der Bf. schließlich durch Entscheidung der Disziplinarkommission entlassen, nachdem sie dessen Antrag auf Zeugenbenennung und Beistellung von Beweisen zur Verteidigung zurückgewiesen hatte. Die Disziplinaroberkommission bestätigte am 6.3.2000 diese Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Am 25.4.2000 brachte der Bf. beim VwGH eine Beschwerde gegen diese Entscheidung der Disziplinaroberkommission ein, mit der er zum einen die Zusammensetzung der Disziplinarkommission (vor allem die Mitwirkung der zwei Gemeindebediensteten von Saalbach) und der Disziplinaroberkommission und zum anderen die Weigerung der Disziplinarbehörde, entlastende Beweise aufzunehmen und weitere Zeugen zu hören, rügte. Der VwGH wies diese Beschwerde in weiterer Folge am 29.11.2000 ab. Rechtsausführungen: Der Bf. behauptet Verletzungen seiner Rechte gemäß Art. 14 (1) iVm. Art 25 und Art. 26 UN-Menschenrechtspakt II, weil sein Verfahren weder fair noch öffentlich und überdies die Disziplinarkommission voreingenommen gewesen sei. Er bringt vor, auch ein Verfahren, welches dienstrechtliche und disziplinarrechtliche Angelegenheiten betrifft, sei vom Anwendungsbereich des Art. 14 (1) UN-Menschenrechtspakt II erfasst. Nach dem Vorbringen des Bf. habe die Disziplinarkommission das Protokoll der Verhandlung vom 23.9.1999 manipuliert und dieses erst zwei Wochen nach Ablauf der Rechtsmittelfrist an seinen Anwalt gesendet. Einige Mitglieder, insbesondere die zwei Vorsitzenden der Disziplinarkommission, hätten ihm gegenüber keine unparteiische Einstellung gehabt. Sein Recht auf ein öffentliches Verfahren sei ebenfalls verletzt worden und er habe nicht die Möglichkeit gehabt, Entlastungsbeweise vorzulegen und Zeugen zu benennen. Schließlich sei die Verfahrensdauer (Beschwerde des Bürgermeisters vom 31.1.1996 bis zur Rechtskraft der letzten Entscheidung des VwGH am 8.1.2001) mit fast fünf Jahren unverhältnismäßig lange, was ihn in seinen Rechten auf ein faires Verfahren verletze. Die Regierung wendet ein, Art. 14 (1) UN-Menschenrechtspakt II sei in diesem Fall im Sinne von Art. 3 Fakultativprotokoll gar nicht anwendbar. Art. 14 (1) des Paktes könne nämlich in Disziplinarverfahren und in Fällen von Streitigkeiten zwischen Verwaltungsbehörden und deren Bediensteten gerade dann nicht angewendet werden, wenn der Rechtsstreit nur den Zugang zum Beruf, die berufliche Karriere an sich oder die Beendigung der Karriere betreffe. In Bezug auf den Vorwurf der langen Verfahrensdauer wendet sie ein, dass der innerstaatliche Instanzenzug nicht ausgeschöpft worden sei, weil der Bf. niemals einen Devolutionsantrag oder eine Säumnisbeschwerde eingebracht habe. Auch sei der Vorwurf der Manipulation des Protokolls weder vor der Disziplinaroberbehörde, noch vor dem VfGH oder dem VwGH jemals erwähnt worden. Schließlich habe der anwaltlich vertretene Bf. dadurch, dass er vor dem VwGH keine mündliche Verhandlung beantragt habe, auf das sich aus Art. 14 (1) UN-Menschenrechtspakt II ergebende Recht auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Bsw.: In Bezug auf den Einwand der Reg., die Bsw. sei im Sinne von Art. 3 Fakultativprotokoll mit den Bestimmungen des Paktes unvereinbar, ist Folgendes zu sagen: Die Anwendbarkeit von Art. 14 (1) UN-Menschenrechtspakt II hängt in erster Linie davon ab, welcher Natur das in Frage gestellte Recht ist und nicht vom Status einer Partei des Rechtsstreits. Die Auferlegung von disziplinären Maßnahmen gegen Bedienstete der Gemeinden fällt an sich nicht unter den Begriff der strafrechtlichen Anklage oder der zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne von Art. 14 (1) UN-Menschenrechtspakt II1. Die Reg. räumt allerdings ein, dass die Disziplinarbehörde ein Tribunal gemäß Art. 14 (1) des Paktes sei. Eine Disziplinarmaßnahme wie z.B. eine Entlassung muss zwar nicht unbedingt durch ein Gericht oder ein Tribunal verhängt werden. Wenn jedoch – wie im vorliegenden Fall – irgendein rechtsvollziehendes Organ über die Auferlegung von disziplinären Maßnahmen entscheidet, müssen die Grundsätze der Gleichheit aller Menschen vor dem Gericht, der Unparteilichkeit, des fairen Verfahrens und der Waffengleichheit im Sinne von Art. 14 (1) des Paktes garantiert werden. Unter diesem Gesichtspunkt erachtet der Menschenrechtsausschuss diese Bsw. als zulässig. Was das Fehlen einer öffentlichen mündlichen Verhandlung betrifft, stellt der Ausschuss fest, dass der Bf. die Möglichkeit hatte, ein mündliches Verfahren zu beantragen. Indem er dies unterließ, verzichtete er auf dieses Recht, weshalb dieser Beschwerdepunkt nach Art. 2 Fakultativprotokoll unzulässig ist. In Bezug auf den Vorwurf der mangelnden Öffentlichkeit der Verfahren vor der Disziplinarkommission und der Behauptung, ein Protokoll sei manipuliert worden, hat es der Bf. versäumt, diese Mängel im innerstaatlichen Instanzenzug vorzubringen und diesen somit nicht ausgeschöpft. Der Menschenrechtsausschuss kommt zu dem Ergebniss, dass der Bf. den Vorwurf der Parteilichkeit der Mitglieder der Disziplinarkommission im dritten Verhandlungsgang und seine Bsw. hinsichtlich der Weigerung, Entlastungsbeweise aufzunehmen und neue Zeugen zu hören, ebenso wie seinen Vorwurf der überlangen Verfahrensdauer und der verspäteten Zusendung des Protokolls ausreichend substantiiert hat. In Bezug auf den Rest der Bsw. verweist der Menschenrechtsausschuss auf seine st. Rspr., wonach Art. 5 (2) des Fakultativprotokolls für die Ausschöpfung des Instanzenzuges nicht die Erhebung von solchen Rechtsmitteln verlangt, die keine Aussicht auf Erfolg haben. Die Reg. wendete nämlich in diesem Zusammenhang ein, der Bf. hätte im dritten Verfahrensgang nicht nur eine Bsw. vor dem VwGH, sondern auch vor dem VfGH erheben müssen. Da aber die Vorwürfe in der VwGH-Beschwerde vom 25.4.2000 (dritter Verfahrensgang) nahezu die selben waren als die in der VfGH-Beschwerde vom 25.8.1999 (zweiter Verfahrensgang), die jedoch der VfGH im Vorjahr abgewiesen hatte, musste der Bf. mangels Erfolgsaussichten eine solche nicht wieder erheben. Somit ist der Einwand der Reg., der Bf. hätte im dritten Verfahrensgang den Rechtsweg nicht ausgeschöpft, nicht stichhaltig. Zu den gerügten Verletzungen von Art. 14 UN-Menschenrechtspakt II: Die Tatsache, dass Dr. Cecon, nachdem er vom Bf. abgelehnt wurde, wiederum den Vorsitz der Disziplinarkommission übernahm, lässt Zweifel über den unparteilichen Charakter dieses Verfahrens entstehen. Diese Zweifel werden weiters dadurch genährt, dass Dr. Maier, der ebenfalls früher vom Bf. abgelehnt worden war, als stellvertretender Vorsitzender und zeitweise sogar wieder als Vorsitzender der Disziplinarkommission eingesetzt wurde. Die Disziplinaroberkommission ist überdies bei ihrer Entscheidung vom 6.3.2000 überhaupt nicht auf die vom Bf. behaupteten Verfahrensmängel eingegangen und hat – ohne genauere Überprüfung der Entscheidung der Disziplinarkommission vom 23.9.1999 – diese einfach bestätigt. Das Disziplinarverfahren besaß somit im dritten Verhandlungsgang (zweimal wurde ja die Entscheidung der Disziplinarkommission im Instanzenweg schon aufgehoben und zur Neuverhandlung zurückverwiesen) nicht jenen unparteilichen Charakter, wie er von Art. 14 (1) UN-Menschenrechtspakt II verlangt wird. Die Rechtsmittelinstanzen haben es weiters verabsäumt, diese prozessualen Fehler zu beheben. Das Recht des Bf. auf ein unparteiisches Tribunal wurde damit eindeutig verletzt. Die Beurteilung über die Zulassung der Beweise liegt nicht in der Kompetenz des Menschenrechtsausschusses, im gegenwärtigen Fall liegt aber sicher keine Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 14 (1) des Paktes (denial of justice) vor. Zum Vorwurf der verspäteten Protokollzusendung ist zunächst folgendes zu sagen: Das Prinzip der Waffengleichheit verlangt, dass jeder Partei genügend Zeit und Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden müssen, um ihre Argumente ausreichend vorbereiten zu können, was natürlich auch für den Zugang zu den notwendigen Dokumenten gilt. In diesem Fall hat der Bf. jedoch nicht ausreichend dargelegt, dass gerade diese verspätete Zusendung des Protokolls ihn davon abhielt, die angeblichen Verfahrensmängel vor dem VwGH zu rügen. Der Grundsatz der Waffengleichheit ist nicht verletzt. Aus Art. 14 (1) UN-Menschenrechtspakt II ergibt sich weiters, dass die Verfahren schnell und ohne unnötige Verzögerungen durchgeführt und beendet werden müssen. Die Verantwortlichkeit für die Dauer von 57 Monaten für einen Fall von relativ geringer Komplexität trifft in diesem Fall die österreichischen Behörden. Auch das Nichteinbringen eines Devolutionsantrages oder die Nichterhebung einer Säumnisbeschwerde befreien die österreichischen Behörden nicht von dieser Verantwortlichkeit. Da die Verfahrenverzögerung durch die Disziplinarkommission verursacht wurde, indem sie die ersten zwei Verfahrensgänge nicht im Einklang mit dem österreichischen Recht durchführte, wurde das Recht des Bf. auf Gleichheit vor dem Gericht verletzt. Bei Betrachtung der dargelegten Fakten kommt der Menschenrechtsausschuss zu dem Schluss, dass eine Verletzung von Art. 14 (1) UN-Menschenrechtspakt II vorliegt. Gemäß Art. 2 (3) UN-Menschenrechtspakt muss der Staat für eine Möglichkeit, ein effektives Rechtsmittel zu erheben, sorgen und auch eine angemessene Entschädigungszahlung erbringen. Schließlich muss er dafür sorgen, dass ähnliche Verletzungen in Zukunft nicht mehr vorkommen werden.
Die Entscheidung im englischen Originalwortlaut (pdf-Format). 1 Der EGMR qualifiziert jedoch Berufsausübungsverbote, die als Disziplinarstrafe ausgesprochen werden, als Eingriff in „civil rights", während der VfGH Disziplinarmaßnahmen wie z.B. Berufsausübungsverbote, die in der Schwere des Übels einer Freiheitsstrafe gleichkommen, dem Begriff „strafrechtliche Anklagen" unterstellt.
|
|