SFH-142153      StartseiteBayern  Klimawandel: Bayern sucht die Superbäume,  Stand: 27.07.2023, 14:21 Uhr  Von: Wolfgang Hauskrecht
Bayerns heimische Baumarten sind in Gefahr. Vor allem in den Städten setzt ihnen der Klimawandel schwer zu. Der Freistaat sucht deshalb nach klimaresistenten neuen Baumarten aus aller Welt. Bestehen müssen die Neulinge vor der Biologin Susanne Böll, die das Projekt „Stadtgrün 2021+“ leitet. Ein Besuch im Testgebiet.
 
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Susanne Böll leitet das Projekt „Stadtgrün 2021+" der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau. 30 Baumarten aus aller Welt werden getestet, als klimafester Ersatz für gestresste heimische Baumarten. Insgesamt 650 Bäume wurden gepflanzt: in Würzburg, Hof/Münchberg und Kempten. Denn das Klima ist auch in Bayern nicht überall gleich. Würzburg im Nordosten ist ein Trocken-Hotspot, Hof und Münchberg sind eher kontinental-frostig und das im südlichsten Zipfel Bayerns gelegene Kempten hat ein regenreiches Voralpenklima.

Der Dreizahn-Ahorn aus Japan ist hitzefest, aber ungeeignet
Der Dreizahn-Ahorn aus Japan ist hitzefest, aber ungeeignet auch, weil er zu Stammrissen neigt und viel Rückschnitt braucht. © Foto: W. Hauskrecht
Die Purpur-Erle ist ein Allrounder und wächst auch auf nährstoffarmen Böden.
Die Purpur-Erle ist ein Allrounder und wächst auch auf nährstoffarmen Böden. Sie ist geeignet für alle Standorte. © Foto: W. Hauskrecht

Seit 2010 läuft das Projekt und eigentlich sollte es, wie der Name sagt, im Jahr 2021 beendet sein. Aber Bäume sind gemächliche Genossen. Sie müssen wachsen und offenbaren ihre wahren Fähigkeiten erst mit der Zeit. Also wurde das Projekt verlängert und heißt nun eben „2021+".

Dass es überhaupt ein Problem mit Bayerns Bäumen gibt, fällt dem Laien nicht gleich auf. Auch im trockenen Würzburg war es im Frühjahr grün. Der viele Regen hatte die Vegetation explodieren lassen. Seit Mai bleibt aber der Regen aus, viele Grünflächen sind schon verdörrt. Den Wassermangel spüren auch die Bäume.

Seit Jahren türmen sich die Probleme auf. Schadstoffe in der Luft, die zunehmende Versiegelung der Böden, Salzeinsatz im Winter oder fehlende Nährstoffe sind noch die kleineren. Zugewanderte Schädlinge wie die Kastanienminiermotte oder der Buchsbaumzünsler schwächen die Baumsubstanz zusätzlich. Aber kann man gegen Versiegelung und Schädlinge noch etwas tun, ist der Klimawandel ein zunehmend übermächtiger Gegner.

Hopfen-Buche aus Südeuropa
Die Hopfen-Buche kommt aus Südeuropa und ist ideal für Würzburg. Sie mag es trocken, braucht aber auch viel Licht. © W. Hauskrecht
Die ungarische Eiche stammt aus Steppenwäldern und mag Trockenheit.
Die ungarische Eiche stammt aus Steppenwäldern und mag Trockenheit. Susanne Böll zeigt ein Blatt. Es hat eine dicke Wachsschicht, weswegen es wenig Wasser verliert. Rechts Kollege Andreas Adelsberger vom Institut für Stadtgrün und Landschaftsbau. © W. Hauskrecht

„Es gibt viele Probleme, aber der Klimawandel steht an erster Stelle", betont Böll und zieht zur Bestätigung eine Grafik aus ihrer Tasche. Die zeigt die Hitzetage für Kempten, Hof und Würzburg, Das Diagramm ist alarmierend. In den Jahren 1961 bis 1990 hatten Hof und Kempten im Schnitt nur einen einzigen Hitzetag, also nur einen Tag mit mehr als 30 Grad Celsius. 2015 waren es bereits 17 Hitzetage. Würzburg mit seinem Weinbauklima hatte früher im Schnitt sieben Hitzetage, 2015 waren es schon 31, drei Jahre später 37. Und für das Jahr 2100 prognostizieren Forscher der Universität Würzburg 50 Hitzetage pro Jahr. „In extremen Jahren können es auch 70 sein", sagt Böll und tippt im Stakkato auf die Grafik. „Das ist der Hammer!"

Mehr Hitze bedeutet mehr Strahlung und weniger Wasser. Böll erinnert an den „Steppensommer" von 2018. Von Februar bis inklusive November habe man in Würzburg nur 287 Millimeter Niederschlag pro Quadratmeter gehabt. Insgesamt. „Das ist nichts!" Auch heuer droht Wassermangel. Das Frühjahr war feucht. Aber jetzt, sagt Böll, komme nicht mehr viel. Ab Juli, sagt Böll, sei oberhalb der Donau kaum noch Wasser im Boden.

Es gibt viele Probleme, aber der Klimawandel ist das größte

Seit Jahren gehen etwa Buchen massiv ein. Unten kein Wasser und von oben mehr Strahlung. „Die Buche stirbt uns sozusagen von zwei Seiten weg", sagt Böll. Auch der Bergahorn sei in Würzburg über dem Limit. „Geht nicht mehr." Für die heimischen Linden-, Kastanien- und Ahornarten wird es ebenfalls eng. Und für die Wälder. Unterhalb der Donau, also auch in Oberbayern, sieht es noch besser aus, aber wer durch Franken fährt, sieht immer wieder Waldstriche, wo nicht nur die Fichten, sondern auch Buchen und Kiefern ihr Leben ausgehaucht haben.

In den Städten wirkt der Klimawandel noch stärker. Experten sprechen vom UHI-Effekt – „urban heat island", was so viel bedeutet wie städtische Hitzeinsel. Die vielen versiegelten Flächen werfen die Hitze zurück. In den Innenstädten führe das im Sommer zu Temperaturen von über 40 Grad, sagt Böll. In Würzburg hat sie über Sensoren Messungen an Wurzel, Stamm und Blättern durchgeführt. Ergebnis: Die Blätter waren 40 Grad heiß, die Rinde bis zu 50 Grad und das Substrat, in dem der Baum steht, sogar bis zu 66 Grad – das ist mehr als die Lufttemperatur in der Sahara.

Die Purpur-Erle ist ein Allrounder
Die Purpur-Erle ist ein Allrounder und wächst auch auf nährstoffarmen Böden. Sie ist geeignet für alle Standorte. © W. Hauskrecht
Die Silber-Linde dreht die Blätter
Die Silber-Linde dreht ihre Blätter bei Hitze um, weil die helle Unterseite die Strahlung gut reflektiert. Ein idealer Baum für trockenes und heißes Klima. © W. Hauskrecht

Wann das Projekt endet, ist noch offen, aber viele Städte nutzen die Ergebnisse schon heute. Denn dort darf gepflanzt werden, was immer die Stadt will. „Außerhalb von Städten dürfen nur heimische Baumarten gepflanzt werden und die müssen sogar aus bestimmten regionalen Gebieten stammen", erklärt Böll. Ob das für immer so bleibt, wird sich zeigen.

Für das trockene Würzburg-Klima hat sich zum Beispiel die aus Kleinasien stammende Silber-Linde als zukunftsfähig erwiesen. „Die hat einen Trick drauf", berichtet Böll. Wird es zu heiß, drehe sie die Blätter. Denn die Unterseiten sind heller und reflektieren die Strahlung besser. Außerdem haben sie eine filzige Struktur mit luftgefüllten Haaren. So verdunstet weniger Wasser. „Silber-Linden werden schon viel gepflanzt", sagt Böll.

Auch die südeuropäische Hopfen-Buche, eine nahe Verwandte der Hainbuche, verträgt Hitze und Trockenheit, ebenso der Ginkgo oder der Französische Ahorn. Die nordamerikanische Rotesche wiederum kann das frostige Klima in Hof gut ab und ist weitgehend resistent gegen das Eschentriebsterben. Aus Nordamerika stammt auch der Amberbaum. Er hat in der Rinde luftgefüllte Korkleisten, was einen guten Frostschutz bietet.

Nicht jeder Baum ist für Bayern geeignet

Andere Bäume des Projekts kommen an allen drei Standorten gut zurecht. Zum Beispiel der nordamerikanische Lederhülsenbaum, die Blumen-Esche aus Südeuropa, der Perlschnurbaum aus China oder die Ulmen-Sorte „Rebona" – eine Züchtung. Denn Kreuzungen sind durchaus eine Lösung. Auch die Purpur-Erle ist ein Hybrid, eine Kreuzung aus der japanischen und der kaukasischen Erle. Seit 1908 gibt es den Baum, gezüchtet hat ihn der deutsche Botaniker Franz Späth.

Andere Bäume des Projekts sind im Grunde schon durchgefallen, auch wenn sie noch im Test dabei sind. Zum Beispiel der Eisenholzbaum aus dem Nordiran. Er ist zwar anpassungsfähig, muss bei Hitze aber bewässert werden und bekommt schnell Sonnenbrand. Der japanische Dreizahn-Ahorn hat in Bayern ebenfalls keine Zukunft. Er hat Frost- und Salzprobleme, seine Blätter vertrocknen im Sommer früh. „Und eine Schönheit ist er auch nicht", sagt Böll.

Ginkgo aus China
Der Ginkgo kommt aus China und ist resistent gegen viele Schädlinge. Er braucht es trocken, so wie in Würzburg. © W. Hauskrecht
Eisenholzbaum mit Sonnenbrand
Einen Sonnenbrand hat dieser Eisenholzbaum. Für Bayern ist die Art eher ungeeignet. © Susanne Böll

Was bei der Baumsuche auch eine Rolle spielt, ist die Besiedelung mit Insekten. Böll hat hier einen Versuch mit mehreren Baumarten durchgeführt. „Mischt man die Baumarten gut durch, finden alle eine Heimat", sagt die Biologin. Die Zeit von Alleen in Monokultur neigt sich also dem Ende, bunt wächst gut ist das neue Motto.

Was das alles für die heimischen Baumarten bedeutet? Laut Böll keineswegs das Aus. Den Altbestand zu erhalten sei die „Aufgabe Nummer eins", sagt sie. Bei Neubauprojekten, fordert sie, müsse der alte Baumbestand geschützt werden. Denn alte Bäume seien viel überlebensfähiger als frisch gepflanzte. Dann zieht sie zwei Bäume weiter. Sie hat einen Eisenholzbaum im Visier, dessen Rinde auffällig aufgeplatzt ist. Er hat Sonnenbrand.

Die Stadt München weiß erstaunlich wenig über ihre Bäume – das soll sich aber ändern

Auch in München leiden die Bäume. So pflanzt die Stadt wegen des durch den Schlauchpilz verursachten Eschentriebsterbens keine heimischen Eschen mehr, sondern setzt nach Angaben des städtischen Baureferats auf amerikanische Eschenarten. Auch die weiß- und rotblühende Rosskastanie wird wegen des Bakteriums Pseudomonas, welches das Baumgewebe zerstört, nicht mehr gepflanzt.

Seit Mitte der 1990er-Jahre testet die Stadt neue Bäume an Stadtstraßen. Das Ziel: weniger Monokultur, mehr Vielfalt. Das Problem: Die Stadt weiß bisher relativ wenig über ihre Bäume. Das soll sich ändern. In Arbeit ist ein Baumentwicklungskonzept. Dafür braucht es aber verlässliche Daten.

Bisher wurde der Baumbestand teils analog erhoben, teils geschätzt. Rund 100 000 Bäume stehen an Münchens öffentlichen Straßen. Die Daten von 2008 geben aber keine Auskunft etwa über Standort, Höhe, Umfang, Alter oder Schädigung, weswegen sie laut Baureferat „nicht weiter auswertbar" sind. Zum Bestand in den Grünanlagen gibt es sogar nur eine Schätzung: rund 600 000 Bäume.

In Hamburg ist man da weiter. Seit mehr als 20 Jahren wird dort ein digitales Baumkataster geführt, welches detaillierte Daten zu jedem Baum enthält. So kann ein punktgenaues Konzept entwickelt werden.

Ein Konzept will auch München. Das hatte der Stadtrat Anfang 2020 beschlossen. Dafür wurde in einem ersten Schritt eine detaillierte digitale Bestandserhebung aller Bäume innerhalb des Mittleren Rings durchgeführt. Dort stehen 25 000 Straßenbäume und rund 90 000 in Grünanlagen. Die Erhebung ist abgeschlossen und soll nun in ein Baumentwicklungskonzept münden. Eine Software für ein digitales Baumkataster wie in Hamburg hat die Stadt aber nicht gekauft. Rund 8,5 Millionen Euro würde das inklusive Ersterfassung aller Bäume kosten, dazu kämen laufende Kosten und mehr Personal. Klar ist: München hat ein Monokulturproblem. Rund 70 Prozent der öffentlichen Bäume sind Linden und Spitzahorne. Durch das „extreme Stadtklima" könne die Verwendung weniger Baumarten „äußerst kritische Auswirkungen nach sich ziehen", schreibt das Baureferat. Eine Erhöhung der „genetischen Vielfalt durch eine möglichst große Durchmischung mit geeigneten Baumarten" sei „notwendig". wha 

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