Mutig. Richtungsweisend. Aber auch: Pflanzerei – und ökomarxistischer Amoklauf. Zwischen diesen Extremen pendelten die Reaktionen von Politik, Wirtschaft und Umweltbewegung auf die Absage des Lobautunnels durch die grüne Verkehrs- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler Mitte der Woche.
Nach 20 Jahren Vorarbeiten und geschätzten 70 Millionen Euro Investitionen wird das umstrittene Milliardenprojekt nicht mehr weiterverfolgt. Einen Schnellstraßentunnel unter dem Naturschutzgebiet soll es damit nicht geben, sagt Gewessler. Auch der Autobahnring um Wien ist mit dieser Entscheidung Geschichte: Es fehlen noch 19 Kilometer zwischen Schwechat und Süßenbrunn.
Aber was kommt jetzt? Das verrät die Ministerin (noch) nicht. Genau das wird ihr von Fürsprechern wie Kritikern des Lobautunnel-Projekts vorgehalten. Eine Absage allein ohne Lösungsansätze zu präsentieren sei zu wenig.
Ein Bündel an Maßnahmen notwendig
Ohne Tunnel braucht es freilich ein Bündel von Maßnahmen – darunter den massiven Ausbau des Öffi-Verkehrs. Aus Gewesslers Ministerium heißt es dazu lapidar, es würden "bessere Alternativen geprüft und geplant". Und weiter: "Das Klimaschutzministerium wird auf die Stadt Wien und das Land Niederösterreich zukommen und rasch gute Lösungen für die Entlastung der Anrainerinnen und Anrainer und zum Schutz unseres Klimas entwickeln." Konkret angekündigt wird nur, den Ausbau der S-Bahn "rasch voranzutreiben".
Dabei wurden dutzende Alternativen längst geprüft. So empfahl die "Strategische Umweltprüfung für den Nordosten Wiens" bereits Anfang der 2000er-Jahre unter anderem eine sechste Donauquerung plus Nordostumfahrung. Weitere Arbeitsaufträge: Verkehrsvermeidung, Öffi-Ausbau samt Verlängerung von U1 bis Leopoldau und U2 bis zur noch zu bauenden Seestadt Aspern – und die Parkpickerl-Ausweitung, die auch erfolgte.
Mehrere Trassenführungen skizziert
In Sachen Donauquerung wurden mehrere mögliche Trassenführungen skizziert: Eine Variante der Straße querte bereits auf Höhe des Biberhaufenwegs die Donau – und wäre nicht weit südlich von der bestehenden Praterbrücke der Tangente (A23) verlaufen. Die Lobau wäre hier gar nicht berührt worden. Allerdings wäre das keine echte Umfahrung gewesen.
Andere Trassenführungen sahen eine Querung der Donau beim Knoten Schwechat vor. Weiter ging es – in einer Innen- sowie in einer Außenvariante geplant – per Tunnel unter dem Nationalpark durch, einmal an einer schmalen, einmal an einer breiten Stelle.
2005 präsentierte die Asfinag erste Pläne. Diese ähnelten der oben beschriebenen Außenvariante. Verhandelt wurde zwischen den Landeschefs aus Wien und Niederösterreich – Michael Häupl (SPÖ) und Erwin Pröll (ÖVP) – sowie Verkehrsminister Hubert Gorbach (FPÖ/BZÖ).
Sechste Donau-Querung "notwendig"
Selbst die Wiener Grünen, seit jeher massive Kritiker des Lobautunnels, einigten sich mit der SPÖ auf die "Notwendigkeit einer sechsten Donauquerung". So stand es 2015 im rot-grünen Wiener Regierungspakt. Der Zusatz hatte es freilich in sich: Diese soll unter "bestmöglicher Berücksichtigung des Umwelt- und Naturschutzes ohne Beeinträchtigung des Nationalparkgebiets geplant werden". SPÖ und Grüne vereinbarten, "alternative Planungsvarianten zu prüfen".
Eine von der damaligen grünen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou zu diesem Zweck in Auftrag gegebene Studie wurde Anfang 2018 präsentiert. Die Quintessenz laut Mitautor Christof Schremmer vom Institut für Raumplanung: Der Lobautunnel ist alternativlos. Eine andere Trassenführung als Alternative sei "nicht mehr realisierbar" oder "weniger verkehrswirksam".
Eine S1-Donauquerung sei für die wirtschaftliche Entwicklung von Floridsdorf, der Donaustadt und dem niederösterreichischen Umland aber jedenfalls notwendig – und auch für Stadtentwicklungsgebiete wichtig. Neben der Nordostumfahrung sei auch ein Öffi-Ausbau sowie ein flächendeckendes Parkpickerl in Wien notwendig. Letzteres wird im März kommenden Jahres umgesetzt.
Wiens Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) zeigt sich nun wild entschlossen, die Absage des Lobautunnels durch Gewessler rechtlich zu bekämpfen. "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen", sagte er. Unterstützung sicherte Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zu. Details verriet der Bürgermeister noch nicht.
Juristische Auseinandersetzung
Gewessler begründete das Aus für das auf 1,9 Milliarden Euro taxierte Megaprojekt mit dem zu erwartenden massiven Bodenverbrauch. Zudem verursache der Tunnelbau viermal so viele CO2-Emissionen wie der Bau herkömmlicher Straßen.
Wie der Asfinag-Vorstand den von Gewessler angekündigten Stopp nun umsetzen wird, diskutieren Juristen kontrovers. Mit öffentlichem und Aktienrecht vertraute Rechtsanwälte sind der Ansicht, dass eine Änderung des Bundesstraßengesetzes – in dem die Außenring-Schnellstraße (S1) angeführt ist – unumgänglich sei. Andernfalls wäre ein Stopp von ebendort angeführten Straßenbauprojekten nicht rechtskräftig und daher von der Asfinag auch nicht umsetzbar. Auch die Umweltorganisation Alliance for Nature forderte am Sonntag diesen Schritt.
Im Ministerium hält man dagegen: Das Bundesstraßengesetz gebe einen Rahmen vor, die Entscheidung, was gebaut wird, erfolge via Asfinag-Bauprogramm, heißt es unter Verweis auf ein Rechtsgutachten von Dragana Damjanovic von der TU Wien. Demnach ist vom Bundesstraßengesetz keine Verpflichtung abzuleiten, "dass die angeführten Straßen innerhalb einer bestimmten Frist zu realisieren sind".
Wie auch immer der Streit ausgeht: Eine Streichung des Lobautunnels aus dem Bundesstraßengesetz per Nationalratsbeschluss gilt politisch als in hohem Maße unrealistisch. Die ÖVP würde einem Stopp der für Niederösterreich (und Wien) bedeutsamen S1 samt der Marchfeld-Schnellstraße nie zustimmen.
Diskussion um Baustopp per Weisung
Andere Juristen und die Wirtschaftskammer argumentieren, ein Baustopp per Weisung an den weisungsfreien Asfinag-Vorstand wäre unzulässig. Dieses Problem ließe sich relativ einfach aus der Welt schaffen. Denn laut §103 Aktiengesetz kann sich der Vorstand dafür von der Hauptversammlung, also der Verkehrsministerin, einen Beschluss holen, wonach das gegenständliche Geschäft – diesfalls die Lobauautobahn – nicht zu verfolgen ist.
Die Gefahr der Untreue wegen allfällig verlorener Kosten für bereits getätigte Planungsaufträge, Verkehrs- und Umweltprüfungen sowie Probebohrungen sehen renommierte Aktienrechtler im Fall der Asfinag nicht. Der Asfinag-Vorstand habe diese Investitionen guten Gewissens getätigt, also weder pflicht- noch sorgfaltswidrig gehandelt, sagt eine Gesellschaftsrechtlerin, die nicht genannt werden will. Der Eigentümer einer Gesellschaft habe das Privileg, seine Grundeinschätzung zu ändern. (David Krutzler, Luise Ungerboeck, 3.12.2021)
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