Droht der Windkraftbranche ein massives Müllproblem, wenn Anlagen veralten? Experten winken ab: Sie testen gerade, wie sich alte Rotoren wiederverwerten lassen.
Wenn
es um die Entsorgung alter Windräder geht, haben Menschen schon einiges
versucht: Mal haben sie die sperrigen Teile gesprengt, mal sind sie mit
schweren Traktoren drüberfahren. Das Verfahren, das Peter Meinlschmidt
ersonnen hat, ist im Vergleich dazu sanft, wenn auch nicht gerade
geräuschlos: Ein Hochdruckstrahl aus Wasser, eine »Wasserstrahllanze«,
zerteilt die bis zu 100 Meter langen Rotorblätter in transportable
Stücke.
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Der
Fraunhofer-Forscher will damit beweisen, dass ein Recycling alter
Windflügel möglich ist. Derzeit drehen sich rund 30 000 Windräder in
Deutschland. Ende 2020 fallen die ersten von ihnen aus der 20-jährigen
Förderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), was manche Anlagen
unwirtschaftlich machen könnte. Medien und Interessengruppen spekulieren
daher über eine gigantische Rückbauwelle, über Windrad-Friedhöfe aus
Hightech-Schrott – und beschwören mitunter sogar Parallelen zum
strahlenden Erbe von Atomkraftwerken.
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Recycling ist möglich, wenn man nur will
Solche
Szenarien ärgern Elisa Seiler vom Fraunhofer-Institut für Chemische
Technologie in Pfinztal bei Karlsruhe: »Es gibt immer diese Berichte,
die suggerieren, ein Recycling sei unmöglich. Dabei bekommt man alles
los, man muss nur dafür zahlen.« Sie meint damit: Neben Beton und Stahl
enthält eine übliche Windanlage auch Kupfer und Aluminium, für die
Entsorgungswege existieren. Noch unklar ist hingegen, was mit dem
Verbundwerkstoff der Flügel passieren soll. Er besteht meist aus
Epoxidharz, das mit Glasfasern verklebt ist, und aus Leichtholz. Ideen
gibt es allerdings auch hierzu.
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Aber
wie groß ist das Problem wirklich? Die Zahlen der zu verschrottenden
Rotorblättern variieren je nach Schätzung beträchtlich. Seiler hatte
2017 » in einer Studie
5000 Tonnen für das Jahr 2021 berechnet, 2026 dann 30 000 Tonnen,
anschließend wieder weniger, bis die Menge 2046 auf 40 000 Tonnen
klettert. Das Umweltbundesamt hingegen rechnet bereits 2021 mit einer
Menge von 50 000 Tonnen je Jahr an Glasfaserverbundmaterial, die sich in
den kommenden zehn Jahren wieder drastisch verringert und erst 2035
wieder 50 000 erreicht – mit einem einzigen Maximalwert von 73 000 in
2038, der dann aber schnell auch wieder absinkt.
»Man bekommt alles los, man muss nur dafür zahlen«Elisa Seiler, Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie
Egal,
welcher Prognose man Glauben schenkt: Selbst im pessimistischsten
Szenario fällt die Menge kaum ins Gewicht, wenn man sie mit der des
jährlich gesamten produzierten Glasfaserkunststoffes (GFK) vergleicht.
So werden in Europa jährlich etwa 1,141 Millionen Tonnen Verbundmaterial
produziert. Den größten Teil daran hat Deutschland mit 225 000 Tonnen.
Sie stecken nicht nur in Windrädern, sondern auch in Autoteilen,
Flugzeugen und Sportbedarf – und müssen ebenfalls irgendwann entsorgt
werden.
Ob das Material aus Windkraftanlagen hier wirklich stark
ins Gewicht fällt? Erschwert wird diese Abschätzung davon, dass niemand
weiß, wie viele Windräder in Zukunft verschrottet werden. Meist gehen
Experten von einer Lebensdauer von 15 oder 20 Jahren aus. Möglicherweise
ist das jedoch zu pessimistisch. Auch nach 20 Jahren seien
Windenergieanlagen noch kein altes Eisen, heißt es etwa » im Branchenreport 2020 des Bundesverbands WindEnergie.
Windräder können auch älter als 20 Jahre werden
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Fast
alle Altanlagen ließen sich demnach technisch sicher weiterbetreiben.
Nur der niedrige Preis an der Strombörse würde ihnen einen Strich durch
die Wirtschaftlichkeit machen, behauptet der Branchenverband. Experten
rechnen jedenfalls damit, dass sich das ändern könnte: Dank der
Stilllegung fossiler Kraftwerke und einem höheren CO2-Preis könnten sich auch alte Anlagen noch rechnen, sofern sie wirklich so lange funktionieren wie gedacht.
Schon
jetzt würden Unternehmen wie Hanse Windkraft oder Windplus gezielt
betagte Windparks aufkaufen, heißt es in der Branche. Andere Anlagen wie
die in der windreichen Gemeinde Ellhöft nahe der dänischen Grenze
nutzen Vertragsmodelle mit Anbietern wie Greenpeace Energy, die den
Ü20-Anlagen auch ohne EEG-Zulage » einen wirtschaftlichen Weiterbetrieb ermöglichen könnten.
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Fest steht: Rund 15 000 Anlagen an Land mit einer
installierten Leistung von 16 Gigawatt werden in den kommenden fünf
Jahren aus der EEG-Förderung fallen. »Dabei kommen wir mit dem
Windstromausbau ohnehin schon kaum voran«, beklagt der Pressesprecher
Michael Friedrich von Greenpeace Energy. Er hofft auf eine gesetzliche
Regelung, von der abhängt, ob man auf existierenden Betonfundamenten
alte Windanlagen durch neue ersetzen darf. Dieses so genannte Repowering
ist bislang nur auf 30 bis 50 Prozent der Flächen möglich. Auf allen
anderen dürfen wegen der seit Kurzem » geltenden Abstandsregeln keine neuen Windräder entstehen, auch wenn diese moderner und größer sind.
Muss man alte Rotoren wirklich im Boden vergraben?
Wo
es möglich ist, wird das Repowering zweifellos zu aussortierten
Rotorblätter führen. Doch was passiert dann mit ihnen? Im Internet
kursierende Fotos aus den USA suggerieren, die obsoleten Teile müssten
vergraben werden. Eines von ihnen stammt von den Marktforschern » des US-amerikanischen BloombergNEF.
Ihren Prognosen zufolge müssen in Europa bis 2022 mindestens
3800 Flügel entsorgt werden, allein 2500 sollen es in Deutschland sein.
Was bei einem durchschnittlichen Gewicht von 25 Tonnen je Flügel 95 000
beziehungsweise 60 000 Tonnen Windkraftmüll entsprechen würde.
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Aber anders, als die Bilder nahelegen, muss man
die ehemaligen Windsammler gar nicht im Boden vergraben. Unternehmer
können sie auch einfach an Zementwerke verkaufen, die das Material der
Flügel wegen seines hohen Heizwertes gut gebrauchen können: Jede Tonne
Glasfaserverbund könnte eine halbe Tonne Steinkohle ersetzen. Das Bremer
Unternehmen Neocomp hat sich darauf spezialisiert, die Rotorblätter für
die Drehtrommelöfen der Zementmacher vorzubereiten. Im Jahr 2016 ließen
sich so insgesamt 80 000 Tonnen Glasfaserverbundstoffe aus anderen
Quellen für die Zementindustrie aufbereiten. Die organischen
Bestandteile dienen dort als Brennstoff, die mineralischen gehen in die
Zementmasse mit ein.
Nach Angaben des Umweltbundesamtes wurden
2017 auf diesem Wege 3,24 Millionen Tonnen Kunststoff verfeuert. Aber
eine nachhaltige Lösung sei das nicht, sagt Elisa Seiler. Sie macht sich
dafür stark, ausgemusterte Rotorblätter einzulagern. Schließlich gebe
es gute Chancen, in Zukunft eine Weiterverarbeitungsmöglichkeit oder
einen anderen Einsatzzweck für die Glaserverbundstoffe zu finden. »Das
ist ein sehr hochwertiges Material, das Stürmen trotzen muss«, sagt
Seiler. Ideen gibt es bereits: Unternehmen in den Niederlanden wollen
beispielsweise Verbundteile » für Kinderspielplätze oder den Brückenbau verwenden, wenn auch bisher nur in geringen Mengen.
Rotorblätter mit kohlenstoffverstärktem Kunststoff sind ein aktueller Trend in der Windkraftbranche
Hier
kommt Peter Meinlschmidt mit seiner Wasserstrahllanze ins Spiel. Am
Fraunhofer-Institut für Holzforschung, Wilhelm-Klauditz-Institut WKI in
Braunschweig will er mit seinem Team das Holz im Innern der Flügel
herauslösen. Sägt man ein Rotorblatt einmal quer durch, sieht man nicht
nur den Kleber aus Harz und Glasfasern, sondern sehr viel hellbraun
gemasertes Holz. »Eigentlich ist es ja fast ein Holzflügel«, sagt
Meinlschmidt. Je nach Bauart ist über die Hälfte des Volumens eines
Windflügels aus Balsaholz, einem der leichtesten Hölzer der Welt. Es
wächst in speziellen Plantagen in Ecuador und kommt auch in
Tischtennisschlägern zum Einsatz.
Doch zunächst müssen die
Forscher alte Flügel finden, mit denen sie entsprechende Tests
durchführen können. Eine Möglichkeit dazu bietet sich in Flensburg. Der
Volksmund spricht von einem Rotorfriedhof oder Rotorschrottplatz, auf
denen alte Flügel nach Fehlern abgesucht und defekte Deckschichten
ausgebessert werden. Das soll sie für den Zweitmarkt in osteuropäischen
Ländern wie Polen fit machen.
Mit dem Hochdruckstrahl sägen
Meinlschmidt und sein Team die Flügel in 10 bis 20 Meter lange Teile.
Einmal zerschnitten, fahren die Forscher die Stücke ins Institut nach
Braunschweig. Dort schreddern sie die Teile in einer
Zerkleinerungsmaschine, bis nur noch handtellergroße Stücke übrig
bleiben, bestehend aus dem festen Verbund von Epoxidharz, Glasfasern und
Holz. Den trennt anschließend eine Prallmühle in die einzelnen
Bestandteile auf.
15 Kubikmeter Holz aus einem Rotorblatt
Wenn
die Verbundstücke gegen Metall donnern, platzt das spröde Glas vom
elastischen Holz ab. Das extrem leichte Holz ist anschließend von den
anderen schweren Schnipseln einfach zu trennen. Das Leichtholz wiegt
dabei nur um 150 Kilogramm je Kubikmeter, Glas das Zehnfache. Aus einem
Rotorblatt lassen sich so bis zu 15 Kubikmeter Holz herauslösen.
Testweise hat der Fraunhofer-Forscher daraus Gebäudedämmstoffmatten als
Alternative zu Styropor gefertigt. Möglich sei auch ein klebstofffreier
Holzschaum für umweltfreundliches Dämm- oder Verpackungsmaterial,
glauben die Forscher.
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Übrig
vom Flügel bleiben bei einem solchen Recycling dann lediglich die
Glasfasern. Sie können zwar aus dem Harz gelöst werden, aber die Preise
für die Glasfasern sind zu gering, als dass dies wirtschaftlich Sinn
machen würde. Sie erwartet der Brennofen im Zementwerk. Sorgen macht den
Experten darum eher eine andere Art Rotorflügel, an denen weder
Zementwerke noch Wissenschaftler wie Meinlschmidt Interesse haben:
Rotorblätter mit kohlenstoffverstärktem Kunststoff sind ein aktueller
Trend in der Windkraftbranche.
Der Kohlenstoff setzt allerdings in
den Verbrennungsanlagen die Elektrofilter außer Kraft. Die Stäube lösen
beim Zersägen elektrische Kurzschlüsse aus, da die Fasern Strom leiten.
Die Mengen sind bislang gering, aber in Zukunft könnten sie beim
Recycling ein Problem werden. Man sollte also vielleicht schon beim
Designen von Rotorblättern an die Wiederverwertbarkeit denken.